4. Juni 2025

0 Kommentare

Worte können heilen – oder tiefe Wunden hinterlassen. In der Geburtshilfe entscheiden oft wenige Sätze darüber, ob eine Frau sich gestärkt oder verunsichert und verletzt fühlt. In diesem Artikel zeige ich, wie No-go-Sätze wirken, was sie bei Müttern auslösen und wie du als Fachperson traumasensibel und bestärkend reagieren kannst. Die Inhalte basieren auf echten Erfahrungen aus meiner Community und geben dir einen Leitfaden für mehr Sicherheit und Empathie im Kreißsaal und auf der Wochenstation.

Lesezeit: 7-9 Minuten

Inhaltsverzeichnis:

  1. Ein Moment, der alles verändert
  2. Die Macht der Worte – und wie sie wirken
  3. Das haben wir gesammelt
  4. Was diese Sätze mit Müttern machen
  5. Traumasensible Alternativen: So geht es besser
  6. Überleitung: Gemeinsam für mehr Sensibilität
  7. Praxistipps für deinen Alltag
  8. FAQ: Häufige Fragen zur traumasensiblen Kommunikation
  9. Tiefer ins Thema einsteigen

Ein Moment, der alles verändert

Der Satz/ das Wort, dass alles veränderte

Manchmal reicht ein Blick oder ein Satz, um eine Mutter im Kreißsaal komplett zu verunsichern. Ich erinnere mich an eine Situation während einer meiner ersten Nachtdienste als junge Ärztin. Ich betreute gemeinsam mit einer erfahrenen Hebamme eine Mutter und die Geburt wollte nicht so recht voran gehen.

Irgendwann sagte sie entnervt zu der erschöpften Mutter: „Sie müssen einfach mehr mitarbeiten, sonst wird das hier nichts“ Die Frau verstummte und ich spürte ihre Hilf- und Ratlosigkeit. Sie fühlte sich schuldig. Tränen liefen ihr über das Gesicht. In diesem Moment wurde mir klar, wie sehr Worte verletzen können – und wie lange sie nachwirken.

Damals wusste ich noch nicht, wie entscheidend unsere Kommunikation für das Geburtserleben ist. Erst als ich selbst Mutter wurde und später als Stillberaterin und Resilienztrainerin arbeitete, wurde mir bewusst: Es sind oft nicht die medizinischen Komplikationen allein, die ein Geburtserlebnis als traumatisch erscheinen lassen, sondern wie wir als Fachpersonen kommunizieren und der Mutter unterstützend zur Seite stehen.

No-go-Sätze sind nicht nur ärgerlich – sie können tatsächlich darüber entscheiden, ob eine Frau die Geburt als belastend oder traumatisch erlebt oder wir sie in ihre Selbstwirksamkeit bringen.


Abonniere meinen hilfreichen Newsletter mit regelmäßigen Fachinformationen für die Praxis und lade dir direkt mein kostenloses PDF „Gut umgehen mit Müttern nach traumatischer Geburt“ herunter, das ich dir zur Begrüßung schenke.


Die Macht der Worte – und wie sie wirken

Worte sind in der Geburtshilfe machtvoll. Sie können motivieren oder tiefe, Narben hinterlassen, Vertrauen schaffen oder zerstören. Gerade in Ausnahmesituationen wie der Geburt sind Frauen besonders empfänglich für die Art, wie mit ihnen gesprochen wird. Ein einziger Satz kann sich tief ins Gedächtnis einprägen – positiv wie negativ.

Fachlich betrachtet wissen wir: Nicht das Ereignis selbst entscheidet, ob ein Trauma entsteht, sondern wie die Frau sich gesehen, gehört und begleitet fühlt und ob ihre Ressourcen zur Verarbeitung ausreichend sind. Manchmal ist es nur ein unbedachter Satz, der ein Gefühl von Ohnmacht, Kontrollverlust oder Schuld auslösen – und so den Boden für eine posttraumatische Belastungsstörung bereiten kann. Umgekehrt kann eine wertschätzende, traumasensible Kommunikation die Selbstheilungskräfte aktivieren und das Geburtserlebnis positiv beeinflussen.


Das haben wir gesammelt

Für diesen Artikel habe ich auf meinen Social Media-Kanälen eine Umfrage gestartet. Die Resonanz war überwältigend: Hebammen, Doulas, Stillberaterinnen und Mütter haben ihre Erfahrungen geteilt. Wir haben eine Vielzahl an Sätzen gesammelt – viel mehr, als hier Platz finden. Die folgenden Beispiele habe ich ausgewählt, um das Prinzip traumasensibler Kommunikation besonders deutlich zu machen:

  • „Haut kann man nicht betäuben“ (beim Nähen)
  • „Das sind noch keine Wehen“
  • „Die Herztöne gefallen uns jetzt schon eine Weile nicht mehr“
  • „Das machen wir immer so“ oder „Das ist bei uns Standard“
  • „Wenn Sie sich nicht sofort ausschaben lassen, verbluten Sie“
  • „Schreien Sie nicht, sparen Sie sich Ihre Kraft!“

Diese Sätze sind nicht nur unglücklich gewählt – sie können sich wie ein Stich ins Herz anfühlen, Angst, Ohnmacht und das Gefühl auslösen, nicht ernst genommen oder gar ausgeliefert zu sein. Sie zeigen: Es geht nicht nur um die Information, sondern vor allem um die Art, wie sie vermittelt wird.

Teile gern diesen Artikel mit deinen Kolleg:innen, damit wir gemeinsam für mehr Sensibilität und Verständnis in der Geburtshilfe sorgen!


Was diese Sätze mit Müttern machen

Wenn eine Frau unter der Geburt oder im Wochenbett solche Sätze hört, kann dies bei einer dafür empfänglichen Frau das Stresssystem aktiveren. Sie fühlt sich als Folge ausgeliefert, nicht ernst genommen oder sogar für Komplikationen verantwortlich gemacht. Typische Reaktionen sind:

  • Ohnmachtsgefühle: „Ich habe keine Kontrolle über das, was mit mir passiert.“
  • Selbstzweifel: „Meine Wahrnehmung ist falsch oder unwichtig.“
  • Angst: „Es muss etwas Schlimmes passieren, wenn sie so reden.“
  • Isolation: „Niemand versteht mich oder nimmt mich ernst.“

Besonders kritisch: Solche Sätze können frühere Traumaerfahrungen reaktivieren. Eine Frau, die bereits belastende Erlebnisse hatte, kann durch unachtsame Kommunikation in eine Retraumatisierung rutschen. Dadurch kann das Risiko steigen, nach der Geburt eine posttraumatische Belastungsstörung zu erleiden.


Traumasensible Alternativen: So geht es besser

Ärztin spricht mit junger Mutter, die ihr Neugeborenes im Arm hält, und zeigt ihr ein medizinisches Dokument.

Die gute Nachricht: Mit kleinen Veränderungen in der Formulierung können wir die gleiche Information vermitteln und gleichzeitig die Frau stärken. Hier einige Vorschläge für Alternativen:

Statt: „Haut kann man nicht betäuben“ (sachlich leider auch falsch)

Besser: „Beim Nähen kann es manchmal zu einem unangenehmen Gefühl kommen. Ich gebe Ihnen so viel Betäubung wie möglich und sage Ihnen, was ich tue. Bitte sagen Sie mir, wenn Sie Schmerzen haben – dann spritze ich noch etwas nach.“

Statt: „Das sind noch keine Wehen“

Besser: „Das CTG zeigt manchmal keine Wehen an, obwohl diese für die Mutter deutlich spürbar sind.”

In so einem Fall lohnt es sich, wenn die Frau mitteilt, dass sie jetzt eine Wehe spürt und einmal zu fragen, ob es ok. ist, die Hand auf den Bauch zu legen.

Hat die Mutter regelmässige Wehen, die aber noch nicht deutlich muttermundswirksam sind, könnte es sich hier um eine schmerzhafte Latenzphase handeln. Eine mögliche Formulierung könnte sein:

„Viele Frauen spüren schon deutliche Wehen, ohne dass sich der Muttermund öffnet. Der Körper leistet aber hier bereits wichtige Vorarbeit. Dies kann sehr ermüdend und schmerzhaft sein? Möchten Sie vielleicht etwas laufen oder sich lieber ausruhen?”

Statt: „Die Herztöne gefallen uns nicht mehr“

Besser: „Ich sehe im CTG Veränderungen, die ich gerne mit Ihnen besprechen möchte. Es gibt verschiedene Möglichkeiten, wie wir jetzt weiter vorgehen können.“

Statt: „Das machen wir immer so“

Besser: „Unsere Erfahrung zeigt, dass wir in solchen Situationen oft so vorgehen. Ich erkläre Ihnen gerne, warum das empfohlen wird, und bespreche mit Ihnen, welche Alternativen es gibt.“

Statt: „Schreien Sie nicht, sparen Sie sich Ihre Kraft!“

Besser: „Jede Frau tönt unter der Geburt anders – viele sehr kraftvoll. Wenn Sie möchten, kann ich Ihnen zeigen, wie Sie Ihre Kraft noch gezielter einsetzen können. Sie machen das großartig.“


Gemeinsam für mehr Sensibilität

Traumasensible Kommunikation ist kein Luxus, sondern ein entscheidender Baustein für sichere und stärkende Geburten. Sie beginnt mit jedem Blick und bei jedem einzelnen Satz – und das Gute ist, sie lässt sich erlernen. Mit den folgenden Praxistipps kannst du sofort im Alltag starten.


Praxistipps für deinen Alltag

Geburtshelferin unterstützt gebärende Frau am Rand eines Geburtspools in einer Klinik.

Die 3-Sekunden-Regel:

Bevor du sprichst, nimm dir drei Sekunden Zeit und frage dich: „Wie würde ich mir wünschen, dass mit mir gesprochen wird?“

Ankündigen statt überraschen:

„Ich berühre Sie jetzt am Arm“ oder „Ich erkläre Ihnen, was ich als Nächstes mache“ – kleine Ankündigungen schaffen Sicherheit.

Erlaubnis einholen:

Egal was gerade geplant ist, hole immer die Erlaubnis der Mutter ein. „Ich würde Sie jetzt gern untersuchen. Ist das o.k. für Sie? Sagen Sie mir Bescheid, falls es gerade nicht geht.”

Es ist wichtig, hier auch auf nonverbale Signale der Mutter zu achten.

Validieren vor Informieren:

„Ich verstehe, dass Sie sich Sorgen machen“ oder „Das ist eine verständliche Reaktion“ – erst die Gefühle anerkennen, dann informieren.

Fragen statt Anweisen:

„Wie geht es Ihnen mit diesem Vorschlag?“ oder „Was brauchen Sie jetzt?“ – die Frau als Expertin für ihren Körper ernst nehmen.

Bei Zeitdruck ehrlich kommunizieren:

„Ich habe gerade nur wenig Zeit, aber Ihre Frage ist wichtig. Können wir in 20 Minuten nochmal sprechen?“ ist besser als abweisend zu wirken.


FAQ: Häufige Fragen zur traumasensiblen Kommunikation

Ist traumasensible Kommunikation nicht zu zeitaufwändig für den Klinikalltag?

Nein, im Gegenteil. Die vorgeschlagenen Formulierungen dauern nicht länger als die problematischen Sätze. Oft sparen sie sogar Zeit, weil weniger Nachfragen nötig sind und dadurch sofort Vertrauen aufgebaut wird.

Was, wenn ich in einer Notfallsituation keine Zeit für lange Erklärungen habe?

Auch in Notfällen helfen kurze, klare Ansagen: „Ich muss jetzt direkt xy tun um Ihnen/ ihrem Baby zu helfen. Ich erkläre Ihnen später alles ausführlich.“ Das schafft Vertrauen ohne Zeitverlust.

Wie gehe ich mit Kolleginnen um, die weiterhin problematische Formulierungen verwenden?

Führe das Gespräch auf fachlicher Ebene: „Mir ist aufgefallen, dass Frauen entspannter reagieren, wenn wir es so formulieren…“ Teile positive Erfahrungen, anstatt zu kritisieren.

Was mache ich, wenn eine Frau trotz einfühlsamer Kommunikation sehr aufgebracht reagiert?

Das kann ein Zeichen für eine Retraumatisierung sein. Bleibe ruhig, validiere ihre Gefühle („Ich sehe, dass Sie sehr aufgewühlt sind“) und hole dir bei Bedarf Unterstützung von Kolleginnen oder Psychologen.

Kann ich als Hebamme oder Ärztin selbst traumatisiert werden?

Ja, Sekundärtraumatisierung ist real. Achte auf Warnsignale wie Flashbacks, Vermeidungsverhalten oder emotionale Taubheit. Professionelle Hilfe zu suchen ist ein Zeichen von Stärke, nicht von Schwäche.

Wie erkenne ich, ob eine Frau traumatisiert ist?

Typische Anzeichen sind: Abwesenheit trotz geöffneter Augen, extreme Ruhe oder Unruhe, Zittern, Sprachlosigkeit oder wiederholte Fragen. Wichtig: Nicht jede ungewöhnliche Reaktion ist ein Trauma, aber jede verdient Aufmerksamkeit.


Tiefer ins Thema einsteigen

Du möchtest schwierige Geburten einfühlsam begleiten und Frauen vor einem Geburtstrauma schützen?

Kompaktkurs „Geburtstrauma vermeiden – schwierige Geburten einfühlsam begleiten“

Dann ist mein Kompaktkurs „Geburtstrauma vermeiden – schwierige Geburten einfühlsam begleiten“ genau das Richtige für dich. In nur zwei Stunden erhältst du fundiertes Wissen, sofort umsetzbare Tools und viele Praxisbeispiele, wie du auch unter Zeitdruck traumasensibel reagieren kannst.


Umfassender Kurs „Wenn die Geburt zum Trauma wird – Einfühlsame Begleitung und Unterstützung von Müttern nach schwierigen Geburtserlebnissen“

Wenn du tiefer einsteigen und dich umfassend fortbilden möchtest, empfehle ich dir meinen umfassenden Kurs „Wenn die Geburt zum Trauma wird – Einfühlsame Begleitung und Unterstützung von Müttern nach schwierigen Geburtserlebnissen“. Hier erhältst du nicht nur den Kompaktkurs mit den Inhalten rund um die Geburt, sondern ein vollständiges, praxisnahes Fortbildungspaket für die Begleitung nach einer traumatischen Geburtserfahrung mit umfangreichem theoretischen Basis-Wissen dazu, wie ein Trauma entsteht, warum die Geburt dafür anfällig ist, Bonding und Stillen, sowie praxisnahe Tools um eine Mutter nach schwieriger Geburt kompetent zu begleiten und ihre Selbstheilungskräfte zu stärken.


Bist du neu im Thema?

Abonniere meinen hilfreichen Newsletter mit regelmäßigen Fachinformationen für die Praxis und lade dir direkt mein PDF „Gut umgehen mit Müttern nach traumatischer Geburt“ herunter, das ich dir zur Begrüßung schenke.


Dr. Ute Taschner ist Ärztin, Stillberaterin, Resilienztrainerin und führende Expertin für traumasensible Geburtsbegleitung. Als Mutter von vier Kindern und mit jahrelanger Erfahrung im Kreißsaal und auf der Wochenstation bildet sie Fachpersonen darin aus, Mütter nach belastenden Geburtserfahrungen einfühlsam zu begleiten.

Hinterlasse einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht.

{"email":"Email address invalid","url":"Website address invalid","required":"Required field missing"}