21. November 2023

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Die Geburt Deines Kindes ist nicht so verlaufen, wie Du es Dir gewünscht hast? Du bist traurig oder zutiefst verletzt, wenn Du daran zurückdenkst?

Mit diesen Gefühlen bist Du nicht allein!

Leider erfahren einige Mütter die Geburt ihres Kindes als körperlich und seelisch belastend. Auch mir ging es bei meinem ersten Kind so. Und noch heute – mehr als 20 Jahre danach – werde ich manchmal traurig, wenn ich daran zurückdenke.

Dabei ist völlig irrelevant, wie Außenstehende dieses Ereignis erlebt haben. Denn: Allein Deine Gefühle und Wahrnehmungen sind entscheidend, richtig und dürfen ihren Platz haben.

Möglicherweise kannst Du Dir jetzt noch gar nicht vorstellen, dass Du Deine traumatische Geburt verarbeiten, Du Deine Erlebnisse rund um die Geburt jemals auflösen oder Dich wieder ganz fühlen kannst. Doch das ist möglich. In kleinen Schritten und mit viel Zeit. Auch dann, wenn Dich die Erinnerungen an die Geburt schon über längere Zeit belasten oder wenn sie Dich in Deinem Alltag beeinträchtigen.

Du kannst jederzeit damit beginnen, Dich auf Deine Heilungsreise zu begeben. In diesem Artikel zeige ich Dir, wie Dir das gelingen kann.

Was ist ein Trauma?

Peter Levine, der Begründer von Somatic Experiencing (SE) definiert ein Trauma so: 

„Zum Trauma wird ein Ereignis, wenn es unsere Schutzhülle verletzt und uns mit einem Gefühl der Überwältigung und Hilflosigkeit zurücklässt.”

Mit anderen Worten: 

„Es war zu viel, zu schnell, zu plötzlich (Überaktivierung).“

Die Wahrnehmung, ob eine Situation als traumatisch erlebt wird, ist also äußerst individuell und abhängig von vielen Faktoren. 

Welche möglichen Symptome eines Geburtstraumas können bei einer Mutter nach einem Kaiserschnitt oder einer natürlichen Geburt auftreten?

Es kann sein, dass Du nach einer solchen Erfahrung nicht mehr dieselbe Frau wie vorher bist oder Du Dich wie in einer irrealen Welt fühlst. 

Mögliche Anzeichen für ein Geburtstrauma sind: 

  • Du hast mit neu aufgetretenen Panikattacken zu kämpfen
  • Du leidest unter Schlafstörungen
  • Du bemerkst an Dir Herzrasen
  • Du reagierst aggressiver als sonst
  • Du hast depressive Verstimmungen
  • Du fühlst dich erstarrt oder hast das Bedürfnis, Dich zurückzuziehen 
  • Du musst öfter weinen, vor allem, wenn Du an die Geburt Deines Kindes zurückdenkst
  • Du bist ängstlich, z. B. traust Du Dich nicht, mit Deinem Baby allein zu bleiben oder es zu halten
  • Du fühlst Dich wie eine gut geölte Maschine und Deine Gefühle sind irgendwie abhanden gekommen
  • Du wirst von lebhaften Erinnerungen überwältigt und erlebst die Geburt oder Teile davon plötzlich noch mal, als wäre es jetzt geschehen (Flashbacks)
  • Denkst Du an die Geburt zurück, bist Du traurig und es war definitiv nicht der schönste Tag in Deinem Leben

Achte gut auf Dich. Solltest Du diese Symptome bei Dir entdecken, ist es ratsam, Dir Hilfe zu suchen. Welche Optionen Du dabei hast, zeige ich Dir in den folgenden Abschnitten. 

Welche Möglichkeiten der Selbsthilfe es für Dich gibt, um Deine traumatische Geburt zu verarbeiten 

Es gibt einige erprobte Möglichkeiten zur Selbsthilfe, die nicht nur mir, sondern auch vielen anderen Müttern in dieser Situation geholfen haben, ihre traumatische Geburt zu verarbeiten.  

Sprich über die Geburt 

Fragst Du Dich manchmal: „Darf ich sagen, dass mich die Erinnerungen an die Geburt meines Babys belasten?“, oder „Darf ich um die natürliche Geburt trauern, wenn ich doch nach dem Kaiserschnitt ein gesundes Kind in den Armen halte?“

Viele Mütter trauen sich nicht, über schwierige Geburtserlebnisse zu sprechen. Sie haben Angst, nicht ernst genommen zu werden.

Vielleicht fielen bereits in der Klinik Sätze wie: „Hauptsache, Ihr Baby ist gesund!“, oder „Stellen Sie sich nicht so an! Das gehört dazu.“

Solche Aussagen treffen mitten ins Herz!

Sie bedeuten, dass es keine Rolle spielt, wie Du die Geburt erlebt hast und dass Dein körperliches und seelisches Befinden unwichtig sind. Und das stimmt einfach nicht. Es ist nicht egal, wie Du geboren hast und ob Du bei der Geburt verletzt oder übergangen wurdest.

Deshalb: Sprich über die Geburt, wenn Du das möchtest – zum Beispiel mit dem oder der PartnerIn, der Familie, FreundInnen oder auf Treffen von Selbsthilfegruppen.

Es kann aber auch sein, dass Du nicht über das Erlebte sprechen möchtest. Denn jede Art der Reaktion auf eine traumatische Erfahrung ist richtig. Ein Trauma ist immer eine normale Reaktion von Körper und Seele auf ein unnormales Ereignis.

Schreibe einen Geburtsbericht

Darin kannst Du wichtige Erinnerungen und vor allem Details der Geburt festhalten, die sonst später in Vergessenheit geraten würden. Kein Geburtsprotokoll, kein OP-Bericht und schon lange kein CTG-Streifen können Deine Gefühle und persönlichen Erinnerungen ersetzen.

Neben den sachlichen Abläufen möchtest Du vielleicht folgende Punkte aufschreiben:

  • Wie hattest Du Dir die Geburt vorgestellt?
  • Wie hast Du die Geburt tatsächlich empfunden?
  • Was war gut, was lief schlecht?
  • Gab es Grenzüberschreitungen? Wenn ja, durch welche Personen?
  • Hast Du Ähnliches schon einmal an anderer Stelle erlebt?
  • Was hat Dir bei dieser Geburt gefehlt?
  • Was möchtest Du beim nächsten Mal anders machen?
  • Was möchtest Du beim nächsten Mal wieder so machen, weil es gut war oder Dich gestärkt hat?
  • Wer hat Dich bei der Geburt gut unterstützt? Wer war eher nicht so hilfreich?
  • Was hast Du aus dieser Geburt gelernt?
  • Was an dieser Geburt hat Dich stärker gemacht?

Wenn Du eine schwierige oder gar traumatische Geburt erlebt hast, fällt es Dir vielleicht schwer, das Erlebte in Worte zu fassen. Möglicherweise ist dann jetzt (noch) nicht der richtige Zeitpunkt dafür.

Frage in der Geburtsklinik nach dem Babyheilbad nach Brigitte Meissner oder führe es zu Hause mit Deiner Hebamme oder einer anderen Vertrauensperson durch

Konnte der erste innige Körperkontakt nach der Geburt nicht stattfinden, können Mutter und Baby diese Erfahrung nachholen. In einigen Geburtskliniken wird das sogenannte Babyheilbad nach Brigitte Meissner bereits routinemäßig bei schwierigen Geburten auf der Wochenstation angeboten.

Dabei badet eine Begleitperson, meistens die Hebamme, das Baby und legt es dann nackt und feucht auf die unbekleidete Brust der Mutter, die im Bett liegt. Beide werden warm zugedeckt. So wird die Situation nach der Geburt simuliert und Du und Dein Baby könnt die ersten wichtigen Momente, die Euch zum Beispiel nach einem Kaiserschnitt nicht vergönnt waren, nachholen. 

Meist bleibt die Begleitperson am Anfang bei der Mutter, um sicherzustellen, dass sie mit der Situation nicht überfordert ist. Später zieht sie sich zurück. 

Halte ausgiebig Wochenbett

Ein Baby zu bekommen, ist eine körperliche Höchstleistung. Erst recht, wenn damit eine große Bauchoperation verbunden war. Außerdem bedeuten die Geburt und die Zeit danach eine riesige emotionale aber auch eine körperliche und hormonelle Umstellung.

In dieser Zeit brauchst Du möglichst viel Unterstützung durch Dein Umfeld. Daher kommt auch das Wortspiel „die Mutter bemuttern“. Denn: Je besser Du bemuttert wirst, umso besser kannst Du für den neuen kleinen Menschen sorgen. Und desto besser können Deine seelischen und körperlichen Wunden heilen.

Wann Du vielleicht weitergehende Hilfe benötigst, um Dein Geburtstrauma zu verarbeiten 

Gelingt es Dir nicht, die Erlebnisse rund um die Geburt in Worte zu fassen? Vielleicht ist das Erlebte zu schlimm gewesen oder die Erinnerung zu schmerzhaft?

Besonders, wenn Du seitdem unter Schlafstörungen oder sogenannten Flashbacks (ein Wiedererleben der Geburt ausgelöst zum Beispiel durch Gerüche oder Geräusche) leidest oder wenn Du Dich im Alltag beeinträchtigt fühlst, kann es sein, dass Du professionelle Hilfe brauchst. Das hat nichts mit Wehleidigkeit oder mangelnder Stärke zu tun, sondern ist genau das Richtige, was Du für Dich und Deine Familie jetzt tun kannst.

Welche Hilfsangebote es gibt, um das Trauma der Geburt zu verarbeiten

Als hilfreich beim Verarbeiten eines Traumas nach einem Kaiserschnitt oder einer natürlichen Geburt haben sich unter anderem folgende Methoden erwiesen.

Kognitive Verhaltenstherapie

Bei der kognitiven Verhaltenstherapie sollen Denk- und Verhaltensmuster verändert werden, die durch das Trauma entstanden sind. Es werden Methoden der Umstrukturierung und der Traumakonfrontation eingesetzt.

Eye Movement Desensitization and Reprocessing (EMDR) nach Dr. Francine Shapiro

Das heißt übersetzt Desensibilisierung und Verarbeitung durch Augenbewegungen. EMDR ist eine Therapie zur Behandlung von Traumafolgestörungen und wurde in den 1980er Jahren von Dr. Shapiro in den USA entwickelt. Zahlreiche Studien haben inzwischen die Wirksamkeit nachweisen können.

Somatic Experiencing (SE) nach Dr. Peter Levine 

Das ist eine körperorientierte Methode, in der vor allem mit körperlichen Prozessen gearbeitet wird. Dabei werden die anhaltenden Reaktionen auf das Trauma aufgegriffen und sollen zu einer Lösung geführt werden. Dadurch kann das Gefühl der Erstarrung und Lähmung, das durch das Trauma entsteht, allmählich durch ein Gefühl der Lebendigkeit abgelöst werden. Die betroffene Person fühlt sich wieder in der Lage, neue Möglichkeiten zu verwirklichen.

Der Vorteil: Es ist hierbei nicht unbedingt notwendig, die traumatische Erfahrung erneut zu durchleben.

Psychodynamisch Imaginative Traumatherapie (PITT) nach Prof. Dr. Luise Reddemann

Diese Methode ist eine tiefenpsychologisch-psychodynamische Kurzzeitpsychotherapie. Sie wird besonders in der Arbeit mit TraumapatientInnen bei stationären Therapien eingesetzt. PITT setzt bei den Ressourcen der PatientInnen an und nutzt die gesteuerte Abspaltung (Dissoziation) als therapeutisches Instrument.

Emotionelle Erste Hilfe (EEH)

Bei diesem körperorientierten Beratungsansatz ist das Ziel, eine liebevolle Eltern-Kind-Bindung während der Schwangerschaft, Geburt und in der Zeit danach aufzubauen.

Das passiert durch Gespräche, Berührungen und Wahrnehmungsübungen. Damit soll der Kreislauf aus Angst, Anspannung und Verunsicherung durchbrochen werden.

Die EEH eignet sich zur:

  • Unterstützung von Eltern, wenn Babys viel weinen und schwer zu trösten sind.
  • Begleitung von Eltern, die erschöpft und überfordert sind.
  • Hilfe, wenn Eltern ablehnende und gewaltvolle Impulse gegenüber ihrem Kind verspüren.
  • Begleitung von Eltern und Babys, die Geburts- und Trennungserfahrungen verarbeiten wollen.
  • Unterstützung von Eltern, deren Säuglinge oder Kleinkinder nur wenig oder unruhig schlafen.

Es ist sehr wichtig, dass Dir die Person, der Du Dich anvertraust, sympathisch ist und dass sie anerkennt, dass Geburtserfahrungen traumatisch sein können.

Neben den hier vorgestellten Methoden gibt es noch viele weitere Möglichkeiten der Bearbeitung von Traumata.

Den einen therapeutischen Weg für alle gibt es dabei nicht. Es geht vielmehr darum, dass Du Dich für eine achtsame Begleitung entscheidest und auf Deine innere Stimme hörst.

Wie Du als Fachperson Mütter dabei begleiten kannst, ihr Geburtstrauma besser zu verarbeiten

Du bist Ärztin, Hebamme oder Doula? Mit diesen Tipps kannst Du Mütter nach traumatischen Geburten unterstützen: 

  • Reduziere Untersuchungen oder Berührungen nach Möglichkeit und führe sie nur dann durch, wenn die Mutter ausdrücklich zugestimmt hat.
  • Sorge dafür, dass sich die Mutter geschützt fühlt und bringe sie dafür eventuell in ein anderes, ruhiges Zimmer.
  • Ermögliche der Betroffenen, dass sie ihre körperlichen Grundbedürfnisse befriedigen kann (wie Trinken und Wasserlassen). 
  • Frage nach, ob sie Schmerzen oder unversorgte Verletzungen hat und versorge diese beziehungsweise veranlasse die Schmerzmedikation. 
  • Triff Vorkehrungen, damit Trennungen von Mutter und Baby vermieden werden oder beide so schnell wie möglich wieder zusammen sein können. 
  • Biete Hilfe bei einem Stillwunsch an (zum Beispiel beim Anlegen des Babys helfen oder eine Stillberaterin kontaktieren). 
  • Finde evtl. heraus, was der oder die mittraumatisierte PartnerIn benötigt: Essen, Trinken oder über das Erlebte sprechen? 
  • Gib der Mutter ruhig und sachlich Informationen über das, was passiert ist (wie körperliches Geschehen und eingeleitete Maßnahmen). Teile den Betroffenen auch mit, was sie gut gemacht haben. 
  • Falls notwendig: Informiere die Mutter und den oder die PartnerIn, wie es dem Baby geht. Sollte das Kind gestorben sein, biete an, die Seelsorge zu informieren, das Baby zusammen anzugucken, zu waschen und anzuziehen. 
  • Hilf der Betroffenen dabei, sich zu entspannen – zum Beispiel durch Atemübungen (cave: kann auch Trauma-Auslöser sein. Vorher nachfragen, ob das passend ist). 
  • Kläre sie über psychologische Hilfe und Alltagshilfen auf, die sie gegebenenfalls in Anspruch nehmen kann. Denke dabei auch an den oder die PartnerIn.  
  • Zeigt die Mutter Anzeichen der Dissoziation, hilf ihr, sich wieder im Hier und Jetzt zu orientieren. Dazu kannst Du zum Beispiel aufzählen, was ist. Etwa so: “Sie sind jetzt hier in diesem Zimmer, es regnet draußen, wir haben Herbst, das Licht brennt” usw. Du kannst auch die Frau selbst beschreiben lassen, was sie im Raum sieht. Oder Du bietest ihr einen Pfefferminzbonbon, einen Igelball oder ein anderes Utensil an, das Sinnesreize verstärkt. Falls eine sogenannte Skillsbox im Kreissaal oder auf der Wochenstation vorhanden ist, kannst Du die eben genannten passenden Materialien darin finden.  

Dinge, die Du im Umgang mit traumatisierten Müttern und ihren Begleitpersonen unbedingt vermeiden solltest:

  • Vermeide Floskeln wie: „Das ist normal“, „Das sind die Hormone.“  Oder „Freuen Sie sich doch einfach über das Baby!“
  • Mache betroffenen Müttern keine Vorwürfe, wenn sie zum Beispiel nicht bei Vorsorgeuntersuchungen waren oder während der Geburt nicht kooperieren konnten. 
  • Verharmlose nicht den Zustand von Mutter oder Baby. 
  • Mache der Betroffenen keine Angst durch Aussagen wie: Sie werden nie wieder ein Kind bekommen können.“
  • Verwende keinen Fachjargon, ohne darauf näher einzugehen.
  • Sprich ruhig und die Mutter direkt an – und nicht über sie hinweg. 
  • Mache keine leeren Versprechungen. 

Fazit: Verarbeite Deine traumatische Geburt, damit Du heilen kannst

Hattest Du eine traumatische Geburt, ist es wichtig, dieses Erlebnis zu verarbeiten. Auch Wochen nach der Geburt bist Du traurig oder fühlst Dich schlecht? Dann solltest Du Dir Hilfe holen. Das können Gespräche mit anderen (betroffenen) Müttern sein oder professionelle Hilfe durch eine Fachkraft in Traumatherapie, wenn Du sehr stark unter den Folgen leidest. 

Die Erinnerungen werden nie ganz verschwinden. Sie gehören zu Deinem Leben dazu. Aber sie können schwächer werden und die seelischen Narben können verheilen. 

Wenn Du als Mama gerne noch tiefer in dieses Thema eintauchen möchtest, ist vielleicht mein Onlinekurs „Schritt für Schritt eine schwierige Geburt verarbeiten“ für Dich interessant.

Als Fachkraft schau Dir gern meinen Kurs zur Mütterbegleitung nach einer schwierigen Geburt an.

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