14. Juni 2018

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Wie kann ich bei der Geburt meine Selbstbestimmung erhalten?

Ein Interview mit Isabella Ulrich

Isabella, Du bist seit 10 Jahren als Geburtsmentorin, Elternbildnerin und Frauenbegleiterin tätig. Außerdem hast Du das Buch „Instinctive birth“ veröffentlicht.

Dieses Buch (Rezension folgt) richtet sich an Mütter und unterstützt sie bei einer ganzheitlichen Vorbereitung auf ein selbstbestimmtes und positives Geburtserlebnis.

Es hilft den Müttern ihre eigene Ressourcen zu mobilisieren, damit sie die gesamte Geburt aus eigener Kraft meistern können. Darüber hinaus bestärkt es das Vertrauen in den eigenen Körper und seine Fähigkeiten.

In Deinen Kursen lernen Mütter weit mehr, als in einem herkömmlichen Geburtsvorbereitungskurs.

Wie unterscheidet sich ein Kurs bei Dir von einem herkömmlichen Geburtsvorbereitungskurs?

In meinen INSTINCTIVE BIRTH Kursen möchte ich den Frauen in erster Linie vermitteln, warum die Natur der Geburt so ist, wie sie ist. 

Für eine positive Geburtserfahrung ist es umfassend wichtig, dass die werdenden Eltern verstehen, warum es Sinn macht, eine Geburt so zu erleben, wie die Natur der Frau sie gestaltet. 

Sie erfahren in den 8×2 Stunden alles über die Natur des Mutter- und Elternseins, und wie die Geburt sie in all ihren Aspekten – Welle für Welle – zu instinktiven Müttern und kompetenten Vätern heran reifen lässt. 

Sie erfahren über welche natürlichen Bewältigungsmechanismen ihr Körper und ihre Psyche verfügen, und werden darin begleitet sich ein Umfeld für die Geburt zu schaffen, das den Einsatz dieser natürlichen Bewältigungsmechanismen entsprechend begleitet und unterstützt.

Loslassen von Kontrolle

Das zentrale Thema im Lebensübergang Geburt ist das Loslassen von Kontrolle, die Hingabe an etwas größeres als sich selbst und den eigenen Selbstzweck, das Verabschieden vom Lebensmotto „es geschehe nach meinem Willen“ und dem freiwilligen Aufgeben der eigenen Komfortzonen. 

Es geht um ein Schritt für Schritt Hineinwachsen in ein Leben jenseits des eigenen Komforts und der eigenen Ideale, zugunsten der artgerechten Entwicklung und Begleitung eines kleinen Menschen, der von unserem Wohlwollen und unserer Eigenverantwortlichkeit abhängig ist. 

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Geburt als Hingabe

Während einer ganz natürlichen und instinktiven Geburt erlebt die Frau diese Transformation gewöhnlich in einem wahrhaftigen „Liebesrausch“, denn das Hormon das die Geburt steuert ist das „Liebes- und Bindungshormon“ Oxytocin. Sie empfindet daher diesen Wandel nicht als „Ohnmacht“ wie bei einem Übergriff, sondern als „Hingabe“ wie in einem alle Grenzen sprengenden Liebesakt. 

Den Unterschied in der Vorbereitung macht für mich das Verständnis dessen, was es wirklich bedeutet Mutter zu sein, und wie beglückend eine Geburtsreise erfahren wird, wenn eine Frau bereit ist sich dieser Erfahrung bedingungslos hinzugeben. Je selbstbestimmter sie diese wichtige Selbsterfahrung in ihrem eigenen Tempo bewältigen kann, umso sinnhafter und positiver wird sie erlebt.

Das Thema Selbstbestimmung ist ja vor allem während der Geburt sehr zentral. Wie kann denn eine Mutter, die heutzutage in einer Klinik ihr Baby zur Welt bringt, diese Selbstbestimmung weitgehend erhalten?

Das Maß an Selbstbestimmtheit während der Geburt geht Hand in Hand mit dem eigenen Maß an Eigenverantwortung. 

Wie selbstbestimmt ich während einer Geburt im klinischen Umfeld bleiben kann hängt sehr davon ab, ob ich mich im Vorfeld der Geburt mit meinen eigenen Bedürfnissen befasst habe, und was es braucht um diese Bedürfnisse eigenständig befriedigen zu können. 

Die eigenen Bedürfnisse kennen

Die grundlegenden Bedürfnisse einer Gebärenden sind Geborgenheit, ein achtsamer Umgang mit dem Autonomiegefühl der Gebärenden, der Erhalt der alltäglichen Rituale (z.B. Essen, Trinken, Schlafen, Rückzug, Intimität, uvm.), eine bedürfnisorientierte Zuwendung, Bewegungsfreiheit, und das Gefühl der Richtigkeit („alles ist gut, so wie es ist“).

Für manche Frauen braucht es noch ein bisschen mehr.

Eine selbstbestimmte Geburt entwickelt sich dann, wenn die werdende Mutter erkennt was sie braucht, um sich dem Geburtsprozess vorbehaltlos hingeben zu können; und wenn sie sich vorab informiert, wie sie diese Bedürfnisse im klinischen Umfeld eigenständig befriedigen kann. 

Die Befriedigung der eignen Bedürfnisse spielt die zentrale Rolle in der Selbstbestimmtheit und damit der Hingabebereitschaft.

Kann ich mir selbst eine tiefe Befriedigung verschaffen – egal wodurch (z.B. durch Lieblingsmusik, einem wohlschmeckenden Geburts-smoothee, einem Schluck meines Lieblingskaffees, einer liebevollen Umarmung, einer Massage, einer warmen Dusche… you name it) – gehe ich auch gerne für einen anderen Menschen über meine Grenzen. 

Bin ich selbst nicht in der Lage meinen Bedürfnissen nachzukommen, bin ich auch nicht mehr gewillt für jemand anderen über meine Komforzone hinaus zu gehen.

Das klinische Umfeld ist nicht dazu da, meine Bedürfnisse zu erkennen und zu befriedigen.

Ich begebe mich an diesen Ort und ziehe die sich dort befindlichen Menschen zur Geburt hinzu, um mir beizustehen, wenn meine eigenen Ressourcen erschöpft sind oder eine medizinische Hilfestellung erforderlich wird. 

Meine eigenen Ressourcen zur Bedürfnisbefriedigung zu kennen und im klinischen Rahmen bestmöglich zu nutzen, macht eine Geburt in hohem Maße selbstbestimmbar. 

Und das klinische Personal ist diesbezüglich meist sehr unterstützend und hilfsbereit.

Gehen meine Möglichkeiten zur Bedürfnisbefriedigung zur Neige, oder kenne ich meine Bedürfnisse gar nicht, endet auch meine Selbstbestimmtheit. 

Je mehr sich meine eigenen Bedürfnisse mit dem gewählten klinischen Umfeld vereinbaren lassen, um so eher kann ich meine Geburtsbewältigung selbstbestimmt gestalten und über lange Zeit beibehalten.

Einige Mütter haben die Geburt ihres Kindes als traumatisch erlebt. Wie begleitest Du diese Mütter in einer weiteren Schwangerschaft?

Wie können diese Mütter selbst oder in Deiner Begleitung Heilung finden?

Das ist ein schwerwiegendes Thema. Die meisten Frauen in meinen Kursen sind zweitgebärend. Nur selten war die erste Geburtserfahrung positiv. 

Über 30% dieser zweitgebärenden Mütter haben eine Kaiserschnitterfahrung hinter sich, die ihre Selbstsicht und das Vertrauen in ihren Körper schwer betrübt. 

Wo hat die Selbstbestimmung geendet?

Es hilft diesen Müttern sehr, wenn sie die Natur der Geburt erfassen lernen und wenn sie verstehen beginnen, an welchem Punkt der negativen Geburtsvorerfahrung ihre Selbstbestimmtheit geendet hat, und warum.

Im Laufe der letzten 10 Jahre habe ich die Erfahrung gemacht, dass eine jede Geburtserfahrung – und sei sie noch so traumatisch – eine transformative Selbsterfahrung beinhaltet. 

Sie wird nur meist von der negativen Selbstsicht und einem unüberwindbar scheinendem Trauma überschattet.

Eine Antwort auf die Frage:

„Was habe ich in dieser Erfahrung über mich selbst und mein Kind erfahren, was mir heute hilft Mutter dieses Kindes zu sein“,

bringt häufig die Erkenntnis, dass selbst diese traumatische Geburt eine hilfreiche Lehre für einen selbst beinhaltet. 

Und wenn es die Erkenntnis ist, dass man die Eigenverantwortung abgegeben hat, um auf schmerzvolle Weise zu lernen, dass man manche Berge im Leben nicht ohne die Hilfe und Unterstützung anderer erklimmen kann. 

Eine Frau hat einmal zu mir gesagt: „Ich habe die schlimmste Geburtserfahrung gemacht, die man sich vorstellen kann. Und im Nachhinein betrachtet hat sie mir die wertvollste Lehre meines Lebens erteilt. Ich habe immer alles alleine schaffen wollen und war immer der Meinung, wenn ich mich nur gut genug bemühe ist alles zu schaffen. Aber um Mutter dieses kleinen Lausers sein zu können, habe ich lernen müssen die Hilfe anderer anzunehmen, wenn ich nicht draufgehen will. Und ich brauche diese Erkenntnis jeden Tag meines Lebens mit diesem Kind.“

Wichtig ist für mich, der traumatischen Erfahrung erst einmal Raum zu geben; den schweren Stein aus dem Rucksack des Lebens heraus zu holen und ihn einmal eingehend zu betrachten. 

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Den Brocken zum Diamanten schleifen

Es macht Sinn aus diesem „Brocken“ eine Selbsterkenntnis zu ziehen, und damit den Stein zum Diamanten zu schleifen, der zu einem echten Wert für einen selbst wird. 

Die Frauen haben für diesen Diamanten einen hohen Preis bezahlt. Es ist gut, wenn sie den Wert daraus erkennen und für sich nützen können. Dann sind sie auch bereit, für eine ganz neue Geburtserfahrung, und für ein ganz neues Maß an Selbstbestimmtheit. 

Ich begleite Frauen in diesem Erkenntnisprozess als Faciliatorin. Ich schaffe den Rahmen der Geborgenheit, um sich dieser Erfahrung noch einmal zu öffnen, um die damit verbundenen Emotionen aus dem Körper freizulassen, und um wichtige Erkenntnisse über sich selbst und das Verhältnis zum Kind aus dieser Erfahrung zu beziehen. 

Oft berührt das Thema noch viel tiefere Wurzeln als erwartet – bis weit zurück in die eigenen Kindheit und Selbsterfahrungen, die man gar nicht mit der Geburt in Verbindung gebracht hätte. Es spielt eben so viel mehr in eine Geburt mit hinein, als man denken würde.

Bietest Du selbst auch Geburtsbegleitungen an?

Seit 10 Jahren begleite ich Frauen als Geburtsmentorin vor, während und nach der Geburt ihrer Kinder. Vor allem liebe ich die Begleitung von Hausgeburten. Dort bin ich meist Zeugin von ganz unberührten, kraftvoll-transformativen und positiven Geburtserfahrungen, die mir immer wieder die Hoffnung geben, dass die Frauen zurück zu einer heilsameren und selbstbestimmteren Gebärkultur finden können, als heute über die Medien propagiert wird.

Stellst Du einen Unterschied fest, je nach dem, ob eine Mutter zuvor einen Kaiserschnitt hatte, oder nicht? Wenn ja, was macht eine Geburt nach vorherigem Kaiserschnitt aus Deiner Sicht besonders?

Mir fällt auf, dass Frauen nach einem vorangegangenen Kaiserschnitt bereit sind, wirklich alles für eine natürliche und selbstbestimmte Geburtsbewältigung zu tun. 

Sie sind viel eher bereit für eine selbstbestimmte Geburt einzutreten, als erstgebärende Frauen. 

Sie wissen was sie nicht mehr wieder erleben wollen. Und sie stehen ganz anders für sich und ihre Bedürfnisse ein. 

Nach einem ungeplanten Kaiserschnitt haben Frauen keine Angst mehr vor dem Geburtsschmerz. „Es gibt nichts was ich nicht für meine Kind, für die Dauer einer Wehe aushalten würde, solange ich mein Kind auf natürliche Weise gebären kann“, ist meist die Devise. 

Daher begleite ich ganz besonders gerne Frauen bei einer Hausgeburt nach einem Kaiserschnitt. Aus einem einfachen Grund: Das sind wahrlich die berührendsten Geburten. Sie sind sich selbst erfüllende Heilungsprozesse. 

Die Frauen bereiten sich sehr viel intensiver auf eine Geburt vor als andere Frauen und erleben dieses Wunder noch bewusster, eigenverantwortlicher und in wirklicher Hingabe.

Hat sich in den letzten Jahren aus Deiner Sicht in der Geburtshilfe oder bei den Gebärenden etwas verändert? (Mein Eindruck ist, dass mehr und mehr Frauen ihr Schicksal selbst in die Hand nehmen und mehr Mütter Weiterbildungen z.b. zur Geburtsmentorin absolvieren)

Ich glaube es hat sich sehr viel verändert, was das Verständnis vom Wert einer Geburt aus eigener Kraft betrifft. 

Ich sehe, dass immer mehr Frauen zu verstehen beginnen, wie wichtig ein positives Erleben dieses Lebensüberganges für ein erfülltes Dasein als Frau und Mutter bedeutet. 

Und die Frauen sind bereit für diese positive Erfahrung ihre Eigenverantwortung zu stärken und ihren Ängsten zu begegnen. Eine Geburt aus eigener Kraft verändert das eigene Selbstverständnis und die Erfahrung des eigenen Körper grundlegend. 

Die eigene Sexualität als Akt der Hingabe

Sie lässt die eigenen Sexualität zu einem Akt der Hingabe reifen. Sie lässt einen ganz anderen Blick auf die Frauen im eigenen Umfeld zu. Eine Geburt aus eigener Kraft beinhaltet eine transformative Reise wie keine andere Erfahrung das von Natur aus zulässt. Sie lässt uns Frauen Wurzeln wachsen und bringt uns mit einer inneren Kraftquelle in Verbindung, die niemals mehr versiegt. Und natürlich wollen all jene Frauen, die das erfahren haben, diese Erkenntnis mit anderen Frauen teilen. Dazu sind wir Frauen da. Das ist unsere Essenz. Wir geben Leben weiter. Wir geben Lebenserfahrung weiter. Das ist unser Erbe an die Menschheit.

Wie darf ich mir die Ausbildung zur Geburtsmentorin, die Du ja auch anbietest, vorstellen?

Die erste Ausbildung zur Geburtsmentorin ist für 2020 geplant. In dieser mehrmonatigen Ausbildung möchte ich geburtsbegleitenden Personen einen umfassenden Einblick in die Begleitung von transformativen Lebenserfahrungen vermitteln. 

Geburt ist viel mehr als die physische Erfahrung, als die sie dargestellt wird. Geburt macht uns zu Müttern. Und Mütterlichkeit entsteht aus einer Fülle heraus, die nur dann entsteht und reift, wenn wir diese Erfahrung in absoluter Geborgenheit, Wertfreiheit und in unserem eigenen Tempo erleben dürfen. 

Geburt beinhaltet die Erfahrung des Verlustes jeglicher Kontrolle, und dem Ergründen tief in uns verborgener Ressourcen. 

Einer werdenden Mutter „den Raum zu halten“ um eine transformative Lebenserfahrung machen zu können, ist das Grundthema in dieser Ausbildung. 

Die TeilnehmerInnen dürfen in einem geschützten Rahmen selbst durch transformative Prozesse gehen, und dabei erfahren wie es sich anfühlt, wenn man etwas schier unüberwindbares aus eigener Kraft bewältigt. 

Diese Ausbildung verändert die gesamte Sichtweise auf das Leben an sich. Es schafft die innere Freiheit, um anderen Menschen den Raum und die Geborgenheit geben zu können, um in ihrem Tempo zu wachsen. Und das ist alles, was Geburt ausmacht. Das ist es, was uns zu Müttern macht, und was Mutterschaft ausmacht.

Vielen Dank für dieses Interview, liebe Isabella!

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  1. Ich habe bei Isabella den genannten Kurs besucht sowie ihr Buch gelesen und hatte ua aufgrund dessen eine traumhafte VBAC. Ich wusste genau, was ich für mein Kind und mich wollte und bekam von Isabella im Kurs das richtige Handwerkszeug dafür mit. Jede Schwangere sollte diesen Kurs vor der Geburt besuchen. Er ist so ganzheitlich und man geht danach mit großer Freude, Ehrfurcht und Vertrauen in sich und seinen Körper in die Geburt. An dieser Stelle möchte ich mich nochmals ganz herzlich bei ihr bedanken. Du hast mein Leben mit der dadurch möglich gewordenen VBAC verändert.
    Alexandra und Erika

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