„Da passt doch kein Kind durch“ oder?
4 Gründe, warum Beckenmessungen Dir nicht helfen, die Geburt zu planen.
Katharinas Geschichte
Seit zwei Stunden spürt Katharina kräftige Wehen. Sie atmet ruhig und konzentriert.
Gerade hat ihr Mann Christian die Beleghebamme angerufen. Es ist Zeit und gemeinsam fahren sie in die Klinik. Katharina ist ziemlich aufgeregt. Obwohl dies schon ihr drittes Kind ist, hofft sie zum ersten Mal eine natürliche Geburt zu erleben.
Das Besondere:
Katharina brachte die beiden Geschwister ihres Babys durch Kaiserschnitte zur Welt. Angeblich sei Ihr Becken für natürliche Geburten zu eng.
Vor 5 Jahren bei der Geburt ihres Sohnes öffnete sich Katharinas Muttermund nur bis auf 6 cm, dann ging nichts mehr. Ein Kaiserschnitt wurde notwendig.
Als Ursache vermuteten die Ärzte damals ein Missverhältniss zwischen kindlichem Kopf und mütterlichem Becken.
Sie empfahlen Katharina eine Röntgenuntersuchung. Die Diagnose lautete: querverengtes Becken.
Für alle weiteren Geburten wurden ihr nun geplante Kaiserschnitte empfohlen. So kam auch ihr jüngerer Sohn auf dem operativen Weg zur Welt.
Damit ist Katharina kein Einzelfall, denn bei einem Geburtsstillstand lässt sich oftmals keine Ursache finden. Schnell steht der Verdacht im Raum, das Becken der Mutter könnte verengt sein.
Sicherheit durch Rönten oder MRT?
So entsteht der Wunsch, mittels einer Röntgen- oder MRT-Untersuchung Sicherheit für weitere Geburten zu erlangen. Und gar nicht so selten zeigen diese Untersuchungen gewisse Abweichungen der Beckenmaße.
Die Folge: Diesen Müttern werden, wie bei Katharina, für weitere Geburten Kaiserschnitte nahe gelegt.
Doch eine Röntgen oder MRT – Untersuchung des Beckens kann den Ablauf einer Geburt so gut wie nie zuverlässig vorhersagen. Ihre Aussagekraft ist aus mindestens 4 Gründen begrenzt.
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Das mütterliche Becken ist KEIN starres Gebilde.
Es setzt sich aus verschiedenen knöchernen Anteilen zusammen, die untereinander durch knorpelige Verbindungen (Symphysen) und Bänder fest, jedoch nicht starr, miteinander verbunden sind.
Bereits während der Schwangerschaft verändern sich diese Strukturen unter dem Einfluss der Schwangerschaftshormone. Sie werden weicher und lockern sich auf. Manche Mütter spüren sogar eine gewisse Instabilität. Dadurch wird das Becken beweglicher und kann sich bereits vor und während der Geburt dehnen und damit dem Baby seinen Weg erleichtern.
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Der kindliche Kopf ist relativ weich und die Räume zwischen den Schädelplatten sind noch nicht verknöchert.
Dadurch können sich mütterliches Becken und kindliches Köpfchen in der Regel optimal aufeinander einstellen. Ob und wie dieses Zusammenspiel während der Geburt funktioniert, lässt sich jedoch im Vorfeld weder durch eine MRT- noch durch eine Röntgen-Untersuchung darstellen.
Allerdings haben Forscher der Charité herausgefunden, dass sich der Kopf des Babys während der Geburt um ca. 4 mm verlängert und sich der so genannte biparietale Durchmesser (der quere Schädeldurchmesser) um 8 mm verkleinert (Bamberg et al. 2017).
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Beckenmaße sind lageabhängig. Derartige Untersuchungen finden aber in aller Regel liegend statt.
Sowohl die klinische Erfahrung, als auch vergleichende MRT-Untersuchungen haben gezeigt, dass sich die Beckenmaße einer Frau abhängig von ihrer Position geringfügig verändern.
Im Vergleich zur Rückenlage variieren die Beckenmaße im Vierfüßlerstand um knapp einen halben Zentimeter (Zangos et al, 2012).
Die Forscher schlussfolgern:
„Die ersten Ergebnisse zeigen, dass sich im geburtshilflich häufig eingesetzten Vierfüßerstand die Conjugata vera obstetrica und -anatomica um einige Milimeter verkürzt, während sich der Diameter sagittalis der Beckenweite, -enge und des -ausganges verlängert. Diese Veränderungen könnten Einfluss auf den Geburtsvorgang im Vierfüßlerstand haben“.
Forscher der Goethe Universität Frankfurt haben sogar noch größere Unterschiede bei knienden Müttern herausgefunden (Reitter et al., 2014). So vergrößert sich der quere Beckendurchmesser (bispinous diameter) bei schwangeren Frauen von 12,6 auf 14,5 cm im Vergleich zur liegenden Position.
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Ein Teil der Frauen, deren Becken laut Untersuchung als zu eng für eine natürliche Geburt eingeschätzt wurde und die deshalb einen Kaiserschnitt erlebten, haben bei weiteren, ebenso großen Kindern, unkomplizierte Geburten erlebt.
Dazu erscheint in der nächsten Woche hier auf meinem Blog ein sehr interessanter Geburtsbericht von Sonja.
Aber was hilft uns konkret weiter, wenn es zu einem Geburtsstillstand und in der Folge zum Kaiserschnitt gekommen ist?
Ein erster möglicher Schritt ist es, die zurückliegende Geburt gemeinsam mit einer erfahrenen Hebamme zu besprechen. Dabei spielen vor allem etwaige medizinischer Interventionen, wie Einleitungsversuche, die Gabe von Wehenmitteln oder der Eröffnung der Fruchtblase eine Rolle.
Diese Eingriffe kurz vor oder während der Geburt, aber auch Unruhe im Kreissaal, haben das Potential, einen Geburtsstillstand herbeizuführen.
Dies ist sogar dann möglich, wenn mütterliches Becken und kindliches Köpfchen normalerweise perfekt zusammengepasst hätten.
So war es auch bei Katharina. Sie stellte rückblickend fest, dass sie während der Geburt des ersten Kindes sehr viel Unruhe im Kreissaal durch häufige Personalwechsel erlebt hatte.
Dank ihrer Beleghebamme und der Unterstützung einer engagierten Oberärztin gewann sie genug Vertrauen in sich und ihr ungeborenes Baby, sodass sie sich beim dritten Kind für eine natürliche Geburt entschied.
Innerhalb von 4 Stunden gebar sie komplikationslos ihre kleine Tochter, die ebenso groß und schwer war, wie der ältere Bruder.
Literatur:
Zangos S., Reitter A., Schollenberger A., Eichler K., Larson MC., Louwen F., Vogl Tj., MR-Pelvimetrie zur Beurteilung der Beckenmaße in verschiedenen geburtshilflichen Stellungen Fortschr. Röntgenstr 2012; 184 – VO403_5, DOI: 10.1055/s-0032-1311292
Bamberg, C., Deprest, J., Sindhwani, N., et al. (2016). Evaluating fetal head dimension changes during labor using open magnetic resonance imaging. Journal of Perinatal Medicine, 45(3), pp. 305-308. Retrieved 6 Jul. 2017
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